Geheime Quellen: Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall (German Edition) by Leon Donna

Geheime Quellen: Commissario Brunettis neunundzwanzigster Fall (German Edition) by Leon Donna

Autor:Leon, Donna [Leon, Donna]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Diogenes Verlag
veröffentlicht: 2020-05-26T16:00:00+00:00


15

Als Brunetti am nächsten Morgen auf die riva zur Questura einbog, kam Grif‌foni ihm aus Richtung Ponte dei Greci entgegen. Er war als Erster vor dem Hauseingang angelangt und wartete in dem spärlichen Schatten. Die Tür stand offen. Der Wachmann hatte jenseits der nach außen dringenden Luft Posten bezogen, die so heiß war, dass man Fleisch darin dörren konnte.

Grif‌foni sah schon von weitem nicht gut aus, stellte Brunetti besorgt fest. Ihr Gesicht war fahl, die hochgebundenen Haare glänzten ölig und fühlten sich bestimmt nicht angenehm an. Ihr Blick, jetzt, wo sie näher kam, war matt und ohne Leben.

»Wie geht’s, Claudia?«, grüßte er auf die übliche Art, um sich seine Besorgnis nicht anmerken zu lassen.

»Nicht besonders«, sagte sie, nachdem sie die Schwelle überquert und ein paar Meter vom Wachmann entfernt stehen geblieben war. »Ich meine, heute geht es wieder einigermaßen, aber gestern musste ich früher Schluss machen.« Er nickte verständnisvoll. »In den letzten zwei Nächten konnte ich kaum schlafen. Ständig habe ich Signora Toso vor mir gesehen, sie und dich, und ihre Stimme gehört.«

Brunetti fragte sich, ob man auch ihm seine unruhigen Nächte ansah. Er hatte vergeblich versucht, Signora Toso am Leben zu erhalten, hatte aber keine Beziehung zu ihr geknüpft, nicht so wie Claudia. Claudia hatte mit ihr gesprochen, ihre Hand gehalten, »Benedetta« zu ihr gesagt, ihr die Hand auf den Arm gelegt während ihrer letzten Worte. Brunetti hatte um ihr Leben gekämpft, doch es war Claudia, die sie verloren hatte.

»Es ist schwer«, erklärte sie, auch wenn das kaum nötig war. »Ich grüble die ganze Zeit darüber nach, was sie uns gesagt hat, und die Mädchen gehen mir auch nicht aus dem Sinn.«

»Du solltest heute nicht hier sein«, sagte Brunetti.

Grif‌foni machte ein undefinierbares Geräusch.

»Lass uns zu Signorina Elettra gehen und fragen, was sie gefunden hat«, schlug er vor; vielleicht war Ablenkung ja die beste Medizin.

Grif‌foni blickte überrascht auf. »Vor zwei Tagen hast du noch den Eindruck vermittelt, du hättest die ganze Geschichte satt, und jetzt willst du plötzlich weitermachen?«

Brunetti blieb ihr eine Erklärung schuldig. Es war ihm peinlich, darauf hinzuweisen, dass er der Sterbenden ein Versprechen gegeben hatte und dass alles anders war, seit seine Hand im Augenblick ihres Todes auf ihrem Herzen gelegen hatte. Er verstand es selbst nicht, darum hatte er auch keine Worte dafür.

Da er weiterhin schwieg, fuhr Grif‌foni fort: »Überleg mal, Guido: Sie wusste, dass sie sterben würde, sie wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. Warum also war es ihr so wichtig, mit der Polizei zu sprechen? Was hat sie gedacht? Oder gewusst? Oder«, sie suchte nach der richtigen Formulierung, »oder was hat sie gehabt?«

Brunetti wollte das nicht in der Eingangshalle erörtern, wo jeder sie hören konnte. »Fragen wir Signorina Elettra, was sie gefunden hat«, schlug er noch einmal vor und hätte ihr am liebsten beschwichtigend die Hand auf den Arm gelegt.

»Bevor wir gehen, Guido«, beharrte Grif‌foni, »muss ich wissen, ob du wirklich interessiert bist an dem, was Elettra gefunden hat. Ob du wirklich glaubst, sie könnte etwas herausgefunden haben. Oder dass es etwas zu finden gab.



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